Von Ostereiern und Atomkernfusion

Dr. Paul-J. Hahn

Zum Osterfest 2002

   Hätte es nicht den 9. November 1991 gegeben, so könnte man den Eindruck bekommen, das Thema "Kernfusion" habe etwas mit Ostereiern zu tun. An jenem 9. November, also hier einmal nicht zum Osterfest, posaunten die Forscher am Joint European Torus" (JET), sei es erstmals gelungen, die Bedingungen für ein Kernfusionsplasma zu erreichen. - Es ist wieder still geworden und bereits wieder mehr als 10 Jahre her.

   Nun aber zu den Ostereiern: Rechtzeitig zum diesjährigen Osterfest erhalten wir die Kunde von einer neuen Sensation aus dem Oak Ridge National Lab in Tennessee: Die Rückkehr zur legendären "Kalten Fusion" sei geglückt, mittels Ausnutzung der submikroskopischen Vorgänge in sogenannten Kavitationsbläschen, die sich normalerweise damit begnügen, Schiffsschrauben anzunagen.

   Jedenfalls wird es wieder physikalisches Spektakel geben, obwohl es eigentlich schon von vornherein klar ist, daß selbst der Begriff "Osterei" auch für diesen Weg zum Fusionsreaktor übertriebene Schmeichelei bedeutet. Es scheint tatsächlich fast niemandem mehr klar zu sein, daß die Einleitung von Fusionsreaktionen zwischen Atomkernen nun wahrlich keine besondere Herausforderung darstellt. Auch die Schiffsschraube müßte mit ihren Kavitationsbläschen hin und wieder solche Reaktionen einleiten, wird sie doch genügend vom schweren Wasserstoff Deuterium der Ozeane umgeben. Das Grundproblem von Fusionsreaktoren ist aber nicht die Einleitung solcher Kernreaktionen als solche, sondern vielmehr nur! das Erreichen einer positiven Energiebilanz, - mehr nicht - daß also der Reaktor mehr Energie wirklich gewinnt und in das Stromnetz zurückgibt als für die Einleitung und Aufrechterhaltung der Fusionsreaktion sowie den sonstigen Betrieb des Reaktors aus dem Netz entnommen werden muß.

   Und da sieht es mit den Kavitationsbläschen recht traurig aus: Eine Abschätzung über die freien Weglängen für die Fusionsreaktionen lehrt, daß diese mikroskopischen Bläschen den Deuteriumkernen keinerlei Chance für den gewünschten Zusammenstoß mit einem Partnerkern gönnen, der bei den hohen Teilchengeschwindigkeiten erst nach solchen Weglängen wahrscheinlich wird, die die Ausmaße dieser Bläschen um zig Größenordnungen übersteigen. Hören wir den Einwand, die in den Bläschen aufgeheizten Deuteriumkerne könnten ja auch mit den kalten Kernen der die Bläschen umgebenden Flüssigkeit reagieren. Warum auch nicht? Nur wäre dann dieses Konzept eine Alternative zum sogenannten Targetbeschuß, und zwar eine der schlechtesten, läßt sich dieser Targetbeschuß doch mit bekannten Technologien viel effektiver gestalten. Ja und bekanntlich taugt der Targetbeschuß nicht für einen Reaktor - eben aus dem obengenanten Grund der erforderlichen positiven Energiebilanz. Und überhaupt: Kavitation verträgt sich nur mit Flüssigkeiten und damit also mit geringen Temperaturen. Was aber sollten wir mit den Unmengen durch Ultraschall und auch ein wenig Kernfusion lauwarm gemachtem Aceton technisch anfangen? Elektrische Energie erzeugen? Eigentlich beleidigt das Konzept jeden, der auch nur einen blassen Schimmer von Physik hat - eigentlich sollte man solche "Erfinder" aus diesem Grunde gar verklagen!

   Folgen wir die Osterfeste zurück, so gelangen wir zum Karfreitag des Jahres 1989 : Schwerwasser-Elektrolyse an Palladium-Elektroden sollte zur "Kalten Kernfusion" bei gemütlichen Zimmertemperaturen geführt haben, so posaunte es von der University of Utah herüber. Aber auch diese Sensation bzw. Revolution versickerte im Sande. Nicht einmal das prinzipielle Einfachste, also die Einleitung bzw. der Nachweis von Kernreaktionen überhaupt wurde bestätigt, vom Thema "positive Energiebilanz" ganz zu schweigen.

   Und noch ein Osterfest säumt den Weg unserer Fusionsforscher, markiert gar seinen Anfang: Der "Osterpaukenschlag" des Argentinischen Diktators Perón im Jahre 1951. Er verkündete der staunenden Welt, daß am 16. Februar 1951 auf der Atominsel Huemul die erste kontrollierte Freimachung von Atomenergie gelungen sei, was weltweit für beträchtliche Aufregung sorgte. Leiter der Forschungsanstalt und geistiger Vater der Erfindung sei der 1909 im böhmischen Falkenau geborene Physiker Dr. Ronald Richter. Und je weniger die Fachwelt mit den Begriffen wir Thermoreaktor, Thermotron, thermisches Schmelzverfahren ohne Verwendung von Uran, thermonukleare Reaktionen, künstliche Sonne mit vielen Millionen Grad usw. anzufangen wußte, und je weniger diese Fachwelt Einzelheiten erfuhr, um so schneller war man sich einig: Schwindel, Scharlatan! Und als sich offenbar die versprochenen Erfolgsmeldungen weniger schnell einstellten (wen wundert's heute?) wie Richters Glanz und Gnade bei Perón verblaßten und Perón mehr und mehr unter innenpolitischen Druck geriet, wurde die Forschungsstätte Huemul Ende 1952, also nach nur dreijährigem Bestehen geschlossen, wovon die meiste Zeit dem Aufbau der Forschungsstätte und Experimente sowie der Gerätebeschaffung diente. Richters wirklich experimentelle Forschungsarbeit läßt sich auf nur ca. 8 Monate beziffern. Bei der Vernichtung seiner Arbeit hatten mit Sicherheit aber auch die US-Amerikaner ihre Hände mit im Spiel, die um ihr Atommonopol zittern mußten, denn Richter war nachweislich seinem amerikanischen Kollegen Teller um viele Jahre voraus. Richter hätte den amerikanischen Steuerzahlern sicher die 2-3 Milliarden Dollar erspart, die Teller für seine unsinnige "Eisschrank"-Wasserstoffbombe verschwendete, ein Irrweg, den Richter schon im Ansatz erkannt hatte. Dagegen sind die 10 Mio. Dollar, die Richters Arbeiten in Argentinien kosteten, wahrlich "Peanuts".

   Aber der später noch weiterlaufende Verleumdungsfeldzug (noch 1954 berichtete der SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 6. Oktober über die Affaire ("einer einzigen Köpenickiade des Atomzeitalters") wird Richters wissenschaftlichem Beitrag nicht gerecht, sieht man einmal von der Tatsache ab, daß infolge seiner fast paranoiden Geheimniskrämerei die Inhalte seiner Erfindung den Fachleuten weltweit unbekannt blieben, Richter also selbst dazu beitrug, daß diese um so mehr mit ihm abrechneten, je weniger sie Ahnung von seinen Ideen hatten. Tatsächlich ließ und läßt sich kein Kritiker Richters finden, der auch nur eine ungefähre Vorstellung von dem hatte, was auf der Insel Huemul physikalisch ablief. Und so wird der mißachtete "Vater der Plasmafusion" von seinem Forscherkollegen meist und am liebsten totgeschwiegen, ansonsten als Hochstapler oder gar als Schurke abqualifiziert. Aber auch wenn Richters Konzept einige sehr bestechende Ideen aufweist, auch oder vielleicht gar gerade auf dem Hintergrund heutiger Kenntnissee und Ergebnisse der Fusionsforschung, so bliebe auch bei Richter noch die Frage nach der positiven Energiebilanz: Nicht auszuschließen, daß Richters Reaktor erst bei solchen Dimensionssteigerungen positiv würde, daß nach dem Einschalten nur noch ein 50m tiefer Krater vom endgültigen Erfolg des Experimentes kündet.

   Die besondere Tragik der Fusionsforschung besteht jedoch darin, daß ein funktionierender Fusionsreaktor längst Realität ist. Und dieser real-existierende Reaktortyp weist schier unglaubliche "Features" auf: Weder muß man sich Sorgen um die Reaktorwände machen noch bezüglich Reaktor- und Strahlensicherheit, keine Sorgen um die Entsorgung irgendwelcher Atom-Aschen oder strahlender Abfälle noch um die Brennstoffbeschaffung. Sämtliches ist gar über den astronomischen Tod unserer guten alten Erde hinaus garantiert und auch gigantische Zuwachsraten des Weltenergieverbrauches sind problemlos abdeckbar, problemlos auch bezüglich Umweltbelastung und Erderwärmung. Was die Wirtschaftlichkeit der Energiekosten dieses Reaktortyps begrifft, so ist diese nur eine gesellschaftspolitische Frage, welchen verantwortungslosen Raubbau wir an den Rohstoffquellen dieser Erde weiterhin praktizieren, welche ökologische Folgen wir wider jede Vernunft nicht nur riskieren sondern tatsächlich und wissentlich auch herbeiführen und welche Umweltschäden wir nicht in Rechnung stellen, kurz, wie wir uns bei der Berechnung der tatsächlichen Energie- inklusive Folgekosten selbst belügen. Sollte jemand noch immer nicht begriffen haben, von welchem real-existierenden Kernfusionsreaktor hier die Rede ist, ein kleiner Wink: Der Reaktor geht jeden Morgen im Osten auf und abends in Westen unter.

   Willstätt, den 03.04.2002